Volkswagen verschärft Homeoffice-Regeln: Welche Rechte haben Arbeitnehmer im Jahr 2025?
1. Hintergründe: Was sich für VW-Mitarbeiter ändert
Ab April 2025 will Volkswagen die Homeoffice-Tage seiner Belegschaft deutlich reduzieren: Statt bisher vier Tage pro Woche sollen künftig nur noch zwei Tage möglich sein. Diese Maßnahme betrifft rund 24.000 Beschäftigte der Kernmarke VW und wird mit der Notwendigkeit begründet, die betriebliche Zusammenarbeit zu intensivieren und die Effizienz zu steigern. Gleichzeitig erhofft sich das Unternehmen, den persönlichen Austausch zwischen Mitarbeitern zu fördern und Entscheidungswege zu verkürzen.
Warum ist das für viele Beschäftigte problematisch?
In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Mitarbeiter stark auf das bisherige Modell mit bis zu vier Homeoffice-Tagen eingestellt. Einige sind weiter weg vom Arbeitsort gezogen, andere haben eine neue Work-Life-Balance entwickelt, die auf mobile Arbeit zugeschnitten ist. Mit der neuen Regelung stehen sie vor erheblichen organisatorischen und finanziellen Herausforderungen – lange Pendelwege oder ein Wechsel des Wohnortes sind mögliche Folgen.
Der Betriebsrat verweist darauf, dass die aktuelle Betriebsvereinbarung „Mobile Arbeit“ weiterhin gilt. In ihr ist eine flexible Gestaltung der Homeoffice-Tage verankert und es wird betont, dass Vereinbarungen dezentral, also mit der jeweiligen Führungskraft, getroffen werden können. Fraglich bleibt, wie streng Volkswagen die neue Zwei-Tage-Regel tatsächlich durchsetzen will – oder ob Ausnahmen gewährt werden.
2. Der Trend zur Büroarbeit – Warum Unternehmen Homeoffice einschränken
Während der Corona-Pandemie galt Homeoffice in vielen Firmen als notwendige Maßnahme, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Inzwischen wächst jedoch bei einigen Unternehmen der Wunsch, die Belegschaften wieder enger an den betrieblichen Standort zu binden. Die Gründe hierfür sind vielfältig:
- Produktivitätssteigerung: Manche Führungskräfte glauben, dass persönliche Anwesenheit den Teamgeist stärkt und Prozesse beschleunigt.
- Kommunikation & Entscheidungsfindung: Ein spontanes Gespräch auf dem Flur kann laut Unternehmen Ideen fördern und Missverständnisse minimieren.
- Kontrolle & Führung: Nicht alle Vorgesetzten fühlen sich mit virtuellen Teams wohl und bevorzugen mehr Präsenz zur besseren Steuerung.
- Kulturelle Aspekte: Firmenkultur entwickelt sich häufig durch direkte Interaktion.
- Rechtliche Sicherheit: Einige Unternehmen wollen klare Regeln statt eines „Flickenteppichs“ aus individuellen Absprachen.
Volkswagen steht zudem unter wirtschaftlichem Druck: Ein deutlicher Gewinneinbruch und mögliche Umstrukturierungen sorgen für einen erhöhten Fokus auf betriebliche Effizienz. Im Zuge dessen wird das Homeoffice teils als „Luxus“ gesehen, den man reduzieren kann, um disziplinierte Arbeitsabläufe zu gewährleisten.
3. Historische Entwicklung der Homeoffice-Regelung bei VW
- Pandemie-Jahre (2020–2021): Aus Schutzgründen und aufgrund gesetzlicher Vorgaben führte VW umfangreiche Homeoffice-Möglichkeiten ein.
- Ab 2021: Bis zu vier Tage pro Woche durften in geeigneten Bereichen mobil gearbeitet werden.
- Ende 2023: Erste Verschärfungen für Manager und Führungskräfte (vier Tage Büro, ein Tag Homeoffice).
- Ab April 2025: Ausweitung der Zwei-Tage-Homeoffice-Grenze auf rund 24.000 Mitarbeiter.
Damit folgt Volkswagen einem allgemeinen Trend, den auch andere Konzerne wie SAP, Deutsche Bank, Tesla und BMW eingeschlagen haben. In vielen Fällen sind es wirtschaftliche oder kulturelle Gründe, die Unternehmen zu mehr Präsenzarbeit bewegen.
4. Rechtliche Rahmenbedingungen: Darf VW Homeoffice einseitig beschränken?
4.1. Gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice?
In Deutschland besteht kein allgemeiner Rechtsanspruch auf Homeoffice. Arbeitgeber können mobiles Arbeiten gestatten oder auch wieder widerrufen, solange keine anderweitigen vertraglichen oder tariflichen Verpflichtungen bestehen.
4.2. Bedeutung von Betriebsvereinbarungen
Gerade bei Großkonzernen wie VW ist eine Betriebsvereinbarung zum Homeoffice der zentrale Rechtsrahmen. Dort können Arbeitgeber und Betriebsrat die Bedingungen für mobiles Arbeiten definieren, etwa:
- Maximale Anzahl von Homeoffice-Tagen pro Woche
- Ausstattung und Kostenübernahme (z. B. Arbeitsmittel, Internet)
- Verfahren bei Konflikten (Betriebsratszustimmung, Einigungsstelle)
Da die bestehende Vereinbarung bei VW weiterhin gilt, kann das Unternehmen nicht gegen sie verstoßen, ohne den Betriebsrat einzubeziehen oder eine Neufassung auszuhandeln.
5. Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis – Wann ist das (un)zulässig?
Ein pauschaler Widerruf von Homeoffice-Regelungen ist arbeitsrechtlich nicht ohne Weiteres möglich. Laut § 106 GewO unterliegt das Weisungsrecht des Arbeitgebers dem billigen Ermessen. Das bedeutet:
- Sachliche Gründe: Ein Widerruf setzt voraus, dass betriebliche Interessen den Fortbestand des Homeoffice „überwiegen“.
- Interessenabwägung: Die persönlichen Umstände der Arbeitnehmer – etwa ein weiter Umzug – müssen berücksichtigt werden.
- Kein abruptes Handeln: Eine abrupte Anordnung kann unwirksam sein, wenn sie Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt.
5.1. Urteil des LAG Köln vom 11.07.2024 (6 Sa 579/23)
Ein Projektmanager arbeitete seit 2020 zu 80 % im Homeoffice. Als sein Standort geschlossen wurde, sollte er 500 km entfernt vor Ort erscheinen. Das LAG Köln urteilte, dass diese Anordnung unwirksam sei, da sie das billige Ermessen verletzte und keine ausreichenden betrieblichen Gründe vorlagen.
5.2. Weitere Urteile
- LAG Hessen (2023): Ein Homeoffice, das über längere Zeit praktiziert wurde und vertraglich vereinbart war, kann nicht „einfach so“ gestrichen werden.
- BAG (2021): Eine kollektive Mitbestimmung ist Pflicht, wenn Homeoffice-Regelungen geändert werden.
6. Wirtschaftliche Hintergründe: Warum trifft VW diese Entscheidung?
Volkswagen verzeichnete zuletzt erhebliche Gewinneinbrüche. In der Automobilbranche stehen zudem teure Investitionen in E-Mobilität und Digitalisierung an. Um den Kostendruck abzufedern, plant der Konzern Maßnahmen wie mögliche Werksschließungen oder Stellenabbau. In diesem Kontext erscheint die Reduzierung von Homeoffice für manche Führungskräfte als sinnvoll, um:
- Arbeitsprozesse zu vereinheitlichen
- Produktivität zu erhöhen (aus Unternehmenssicht)
- Effizienzprogramme schnell umzusetzen
Berichte aus der Presse weisen darauf hin, dass diese Homeoffice-Kürzung nur ein Baustein einer umfassenden Restrukturierung sein könnte. Eine Rückkehr in die Büros steht symbolisch für eine neue Unternehmenskultur, die mehr Präsenz und engere Führung befürwortet.
7. Fallbeispiel: Wie ein Homeoffice-Widerruf in der Praxis aussehen kann
Situation:
Eine Mitarbeiterin eines großen Automobilzulieferers arbeitete seit drei Jahren überwiegend im Homeoffice. Ursprünglich war dies aufgrund pandemiebedingter Maßnahmen eingeführt worden, doch sie erhielt eine dauerhafte Genehmigung, da ihr Vorgesetzter zufrieden war.
Problem:
Die Mitarbeiterin zog in eine andere Stadt, rund 200 km entfernt, weil sie mit nur einem Bürotag pro Woche rechnete. Plötzlich entschied die Geschäftsleitung, die Homeoffice-Tage auf maximal einen Tag zu reduzieren. Für die Mitarbeiterin hätte das tägliches Pendeln oder ein erneuter Umzug bedeutet.
Lösung:
Mit Hilfe des Betriebsrats wurde eine hybride Lösung verhandelt: Zwei feste Bürotage, drei Tage Homeoffice. Dabei berief sich die Mitarbeiterin auf eine informelle schriftliche Zusage und ihre bereits veränderten Lebensumstände, was das Unternehmen nicht ignorieren konnte.
8. FAQ – Häufige Fragen zu Homeoffice & Arbeitsrecht
8.1. Darf mein Arbeitgeber mich einfach ins Büro zurückholen?
Ja, wenn keine Betriebsvereinbarung oder Vertragsklausel das Homeoffice dauerhaft zusichert. Allerdings sind abrupte und grundlose Änderungen angreifbar.
8.2. Kann ich dagegen klagen?
Falls eine gültige Betriebsvereinbarung oder eine vertragliche Homeoffice-Regelung verletzt wird, kann eine arbeitsgerichtliche Klärung in Betracht gezogen werden.
8.3. Was passiert, wenn ich zu weit weg wohne?
Persönliche Umstände können die Interessenabwägung beeinflussen. Ein Gericht prüft, ob der Arbeitgeber seine Entscheidung sachlich begründen und dein Interesse ausreichend berücksichtigen muss.
8.4. Kann der Betriebsrat etwas dagegen tun?
Ja, Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte hinsichtlich Arbeitsort- und Zeitregelungen. Sie können eine Einigungsstelle anrufen oder versuchen, eine alternative Regelung durchzusetzen.
8.5. Gibt es eine Homeoffice-Pflicht für Arbeitgeber?
Nein, bislang nicht. Auch die Versuche, einen gesetzlichen Anspruch einzuführen, sind bisher gescheitert.
9. Handlungsmöglichkeiten für betroffene Mitarbeiter
- Das Gespräch suchen: Oft lässt sich eine individuelle Lösung mit dem Vorgesetzten finden, beispielsweise ein Hybridmodell.
- Betriebsrat einschalten: Wenn bestehende Vereinbarungen verletzt werden oder gar nicht angewendet werden, kann der Betriebsrat vermitteln.
- Rechtliche Beratung: Bei gravierenden Einschnitten – etwa langem Pendeln oder drohender Versetzung – kann eine juristische Prüfung sinnvoll sein.
- Kündigungsschutzklage: Sollte die neue Regelung mit einer Änderungskündigung verbunden sein, ist es ratsam, innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage zu erheben.
10. Vergleich mit anderen Automobilherstellern
- BMW: Setzt zunehmend auf hybrides Arbeiten, jedoch mit festen Präsenztagen.
- Daimler/Mercedes-Benz: Ebenfalls Mischmodelle, allerdings oft abhängig von der jeweiligen Abteilung.
- Ford: In Deutschland gab es bereits 2022 Bestrebungen, die Präsenzpflicht zu erhöhen, allerdings in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat.
Daran erkennt man, dass kein einheitliches Konzept herrscht. Vielmehr loten große Konzerne jeweils ihre eigene Mischform aus Homeoffice und Büroanwesenheit aus.
11. Ausblick: Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeitswelt?
Die Reduzierung von Homeoffice-Tagen bei VW und anderen Unternehmen signalisiert, dass Re-Office – also die Rückkehr ins Büro – wieder an Bedeutung gewinnt. Doch gleichzeitig bleiben Homeoffice und hybride Modelle erprobte Arbeitsformen, die viele Arbeitnehmer nicht mehr missen möchten. Entscheidend werden wohl betriebliche Notwendigkeiten und die jeweilige Unternehmenskultur sein:
- Effizienz vs. Flexibilität: Manche Bereiche erfordern engere Zusammenarbeit, andere können problemlos remote arbeiten.
- Fachkräftebindung: Firmen, die flexible Modelle anbieten, sind für viele Fachkräfte attraktiver.
- Rechtliche Entwicklungen: Ob ein gesetzlicher Homeoffice-Anspruch kommt, bleibt abzuwarten.
12. Abschließende Gedanken zur VW-Entscheidung: Ein Balanceakt zwischen betrieblichem Interesse und Arbeitnehmerrechten
Die Entscheidung von Volkswagen, die Homeoffice-Tage zu reduzieren, passt in den Gesamttrend steigender Präsenzforderungen in der deutschen Unternehmenslandschaft. Rechtlich betrachtet, hängt die Wirksamkeit einer solchen Entscheidung jedoch maßgeblich von der konkreten Umsetzung und der bestehenden Betriebsvereinbarung ab. Arbeitnehmer sollten ihre Rechtsposition kennen und bei Bedarf aktiv werden, um nachteilige Folgen zu minimieren.
Ob diese Maßnahme langfristig Bestand hat oder erneut gelockert wird, hängt von vielen Faktoren ab: Die wirtschaftliche Entwicklung, der Verhandlungsspielraum des Betriebsrats und auch der Druck vonseiten der Arbeitnehmer spielen hier eine Rolle. Für viele Firmen bleibt Homeoffice ein wichtiger Bestandteil moderner Arbeitswelten, der nicht vollständig verschwinden dürfte.
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Ihr Rechtsanwalt für Arbeitsrecht – Daud Haque
Rechtsanwalt Daud Haque ist Gründer der Rechtsanwaltskanzlei Haque (Arbeitsrecht & Compliance) und spezialisiert auf Kündigungsschutzrecht und Konfliktmanagement. Er berät Arbeitnehmer umfassend zu Aufhebungsverträgen und Abwicklungsvereinbarungen nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Falls erforderlich, vertritt er seine Mandanten vor dem Arbeitsgericht im Rahmen einer Kündigungsschutzklage, um eine angemessene Abfindung, ein herausragendes Arbeitszeugnis oder eine Weiterbeschäftigung zu erreichen.